Der Verband der chemischen Industrie (VCI) schätzt die erwartete Gaskrise gegen Ende des Jahres als weniger dramatisch ein. Deutschland sei für den Ernstfall besser gewappnet als gedacht und ein totaler Gasmangel würde nur regional und temporär eintreten, so Energieexperten.
Verband der chemischen Industrie gibt Entwarnung: Gasmangel nicht flächendeckend
Angesichts des heraneilenden Winters steht Deutschland vor der Sorge, ob die Gaszufuhr für die kälteren Tage garantiert ist. Besonders auf das Gas, das derzeit über Nord Stream 1 kommt, ist die Bundesrepublik angewiesen. Ein Ausbleiben der benötigten Energie hätte jedoch nicht unmittelbar für die ganze Nation Konsequenzen.
Schrittweise und vorhersehbar würden die Folgen ausfallen, außerdem wäre der Mangel in unterschiedlichen Teilen Deutschlands auch unterschiedlich zu spüren. Im Süden und Osten Deutschlands wäre am ehesten mit einem Ernstfall zu rechnen, da im Süden nur auf zwei Speicher zurückgegriffen werden kann, so der Experte Jörg Rothermel.
Das Bangen um eine zuverlässige Energieversorgung rührt mal wieder von der Abhängigkeit zu Russland her. Im vergangenen Juli etwa befürchtete man nach einer Wartung der Ostseepipeline, dass Russland nach der Reparatur den Gashahn nicht wieder aufdrehen würde.
Nun läuft das Gas zwar wieder, die russischen Lieferungen sind jedoch nach wie vor stark gedrosselt und im Preis deutlich gestiegen. Eine Gaszufuhr, die ungewiss und unwirtschaftlich für die Verbraucher ist, sei laut Experten auf Dauer einfach unbrauchbar.
Pharma- und Chemiekonzerne sind die größten Energiekonsumenten
In Sorge sind vor allem Betriebe aus Chemie- und Pharmaindustrie. Sie machen rund 15 Prozent des Gasverbrauchs in Deutschland aus und sind damit die größten Energieschlucker. Der Verband der chemischen Industrie warnt aber auch die ganze deutsche Industrie vor kommenden Ausfällen von gesicherter Energieversorgung.
Alternativ könnten zeitweise zwar mit anderen fossilen Brennstoffen zwei bis drei Terrawattstunden Gas eingespart werden. Erwähnte Branchen benötigen jedoch 135 Terrawattstunden Gas pro Jahr – zu viel, um mit eingespartem Gas Durststrecken überbrücken zu können.
Auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert empfindet die deutsche Abhängigkeit gegenüber Russland als ‚traurige Wahrheit‘, der man ins Gesicht schauen müsse, um dramatische Engpässe für Industrie und private Haushalte im Winter zu vermeiden.
Pharma-Tech-Konzern Merck sieht sich ‚gut gerüstet‘
Die Vorstandschefin des Darmstädter Unternehmens Merck blickt dem kommenden Herbst indessen zuversichtlich entgegen. Ihr Konzern habe vorgesorgt, sich mit Ressourcen eingedeckt und könnte spontan und wirksam auf Engpässe reagieren.
So könne man etwa rasch auf die Nutzung von Erdöl umsteigen, um eine kontinuierliche Produktion von Medikamenten zu gewährleisten. Dennoch betont die Merck-Chefin Belén Garijo, dass auch ihre Reserven nicht unerschöpflich seien: „es hängt sehr von der Dauer der Engpässe ab, und wie wir es schaffen, parallel dazu auf alternative Quellen umzustellen.“